Der Kriegszustand – Aktion „Tannenbaum“

Die Internierung der aktiven Mitglieder der „Solidarność“ und anderer unabhängigen Organisationen, die am Anfang der achtziger Jahren tätig waren, war mit Sicherheit eine der wichtigsten Operationen des Kriegsrechts – vielleicht war es sogar die wichtigste Maßnahme. Von ihrer Durchführung hing weitgehend der Widerstand der Gesellschaft und sein Ausmaß am 13.12.1981 und in den darauffolgenden Tagen ab…

Die Vorbereitung dieser Aktion (zuerst trug sie den Decknamen „Erika“,  der nach der Flucht von Oberst der Volksarmee Ryszard Kukliński in den Westen geändert wurde) - genauso wie die Vorbereitung des Kriegsrechts - dauerten viele Monate. Die älteste, durch das Innenministerium vorbereitete Liste der für die Internierung vorgesehener Personen entstand am 28. Oktober 1980. Auf der ältesten,  erhaltenen Liste vom 31. Oktober 1980 befinden sich „nur” 1.200 Personen.

Der damalige stellvertretende Innenminister und Vertreter eines „liberalen Flügels“  Adam Krzysztoporski stellte während einer eine Woche später stattfindenden Sitzung der Führung des Innenministeriums fest, dass die Internierung von „einer großen Anzahl von Personen, vielleicht etwa 30 bis 40 Tausend beim Beginn der Operation geplant sei, danach werde es sich um drei- bis vierfach so viele Personen handeln“. Diese Zahlen können schockieren. Insbesondere angesichts der Tatsache,  dass die Gefängnisse der Volksrepublik keinen Platz für  60 – 120.000 der Festgenommenen bieten konnten. Es erscheint daher wahrscheinlich, dass man bei der Durchführung die chilenische Lösung, also das Festhalten der Internierten in Stadien in Betracht gezogen hat …

Diese Anzahl „der zur Isolation vorgesehenen Personen“, die sich auf den von einzelnen Wojewodschaft-Abteilungen der Volksmiliz vorbereiteten Aufstellungen befanden, verwundert nicht, wenn man berücksichtigt, dass  sogar die bereits betagten Soldaten der Vereinigung „Freiheit und Unabhängigkeit“ und der Heimatarmee sowie der Polnischen Volkspartei, die in den vierziger Jahren tätig gewesen sind, auf den Listen aufgeführt wurden.

Aufgrund einer gemeinsamen Verfügung des Innenministers und des Justizministers errichtete man (formell am 13. Dezember) 46 Internierungszentren.  Die Verantwortung für das Finden von geeigneten Orten (die fast ausschließlich möglichst weit von den Städten eingerichtet wurden) übernahm selbstverständlich der Sicherheitsdienst. In den darauffolgenden Monaten hat man weitere „Internierungsorte“ eingerichtet. Insgesamt hielt man die Festgenommenen in 52 Zentren (die Angaben sind nicht komplett, da z. B. die Aufenthaltsorte von prominenten Oppositionellen sowie Angaben aus den Gefängnissen fehlen).

Obwohl die Operation „Tannenbaum“ (d. h. das Festnehmen von Personen, deren Namen vorher auf Listen zusammengestellt wurden) erst um 24.00 Uhr anfangen sollte, fing sie tatsächlich früher an, manchmal sogar eine Stunde vor Mitternacht, d. h. vor der formellen Einführung des Kriegsrechts.

Wie wir einem der Berichte des Innenministeriums aus Herbst 1983 entnehmen können,  waren die Festnahmen das zum ersten Mal angewandte Kampfmittel von solchem Massencharakter. Insgesamt gab es 10.132 Internierungsbescheide, die 9.736 Personen betrafen (bei 396 Bescheiden handelte es sich um erneute Internierung, so wurde z. B. Jan Beszta-Borowski Ende Dezember 1981 freigelassen und im September 1982 erneut interniert). Unter den Festgenommenen befanden sich 8.728 Männer und 1.008 Frauen. Nach den Angaben des Innenministeriums aus Februar 1982 handelte es sich dabei überwiegend um junge Personen – 72 % der Internierten waren unter 40. Bei lediglich 8 % handelte es sich um die Dorfbewohner.

Bereits in der ersten Nacht vom 12. auf den 13. Dezember 1981 internierte man 3.173 Personen, die Mehrheit davon waren Mitglieder der Landeskommission von „Solidarność“. Nur einigen wenigen Führern von „Solidarność” gelang es, der Internierung zu entgehen (darunter Zbigniew Bujak, Władyslaw Frasyniuk, Bogdan Lis und Mieczyslaw Gil). Die Freiheit verloren außer den Führern und Beratern von „Solidarność“ auch Mitglieder anderer unabhängigen Organisationen (Der Unabhängigen Vereinigung der Studenten, Der Solidarność von individuellen Bauern, der landesweit agierenden Klubs der Katholischen Intelligenz, der Konföderation des Unabhängigen Polens, der Bewegung zur Verteidigung von Menschenrechten und Rechten des Bürgers, der Bewegung Junges Polen u. a.) sowie Mitglieder der Vereinigten Arbeiterpartei, die trotz der Zugehörigkeit zu den Strukturen der Partei und Miliz die Demokratisierung des Landes unterstützten, und versuchten, eine unabhängige Gewerkschaft der Miliz zu bilden.  Gesondert internierte man auch ehemalige Partei- und Staatsführer, darunter den ehemaligen 1. Sekretär des Zentralkomitees der Vereinigten Arbeiterpartei Edward Gierek, zu den Festgenommenen gehörten allerdings auch Kriminelle.

Der Höhepunkt wurde am 21.12.198 erreicht:  in den „Internierungsorten“ befanden sich 5.128 Personen, darunter 313 Frauen. Manchmal betraf die Festnahme ganze Familien – das bekannteste Beispiel dafür ist wohl die Familie Kuroń. Außer Jacek Kuroń internierte man auch seine Ehefrau Gaja und Sohn Maciej. Es geschah auch, dass Milizfunktionäre, die den Mann inhaftieren wollten, auf der Treppe auf andere Milizgruppe trafen, die die Ehefrau inhaftieren wollte. Eine weitere Schikane gegenüber den Verhafteten bestand darin, Kinder nicht der Familie zu überlassen sondern sie in Kinderheime zu bringen.  

Im Übrigen ließ man einige der Internierten sogar nach einem oder zwei Aufenthaltstagen in den Internierungszentren frei. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der Fahrer des Vorsitzenden von „Solidarność“ Mieczysław Wachowski, dessen Freilassung am 14. Dezember stattfand.

Mit allmählicher Lockerung der Schikanen des Kriegsrechts veränderte sich auch die Anzahl der Internierungszentren. Eine große Anzahl von Personen, darunter alle Frauen, wurde im Juli und August 1982 freigelassen. Dadurch verringerte sich die Anzahl der Festgehaltenen auf 561 Personen, die in 14 Zentren unterbracht waren. Die „widerstandsfähigsten“ Personen hielt man bis Dezember 1982 fest  – die letzten 62 Personen wurden am 23. Dezember 1982 freigelassen.    

Allerdings wurden einige der Internierten, wie beispielsweise Andrzej Gwiazda (übrigens einen Tag vor der Auflösung des Internierungszentrums in Białołęka) nicht freigelassen, sondern in Gefängnisse gebracht. Ähnliches Schicksal traf die Mitglieder der Landeskommission von „Solidarność” und des Landesvorstandes des Komitees zur Verteidigung der Arbeiter, die trotz der Amnestie für Taten, die vor der Einführung des Kriegsrechts (also vor 13.12.1981) begangen wurden vors Gericht gestellt werden sollten. Die Änderung des Status des Internierten in den Gefangenen war keine Seltenheit. Gegenüber 424 Personen wurde die Entscheidung über Internierung aufgehoben, da sie vorläufig festgenommen wurden, weitere 116 der Freigelassenen wurden vorläufig festgenommen, da sie erneut Aktivitäten gegen das Kriegsrecht aufgenommen haben.

Unter den Internierten kann man drei Gruppen unterscheiden (nach der Art und Weise wie sie von den Behörden behandelt wurden). Die erste Gruppe bestand aus ehemaligen Prominenten der Volksrepublik Polen (insgesamt 36 Personen), die zuerst im Internierungszentrum Głębokie gehalten wurden, nach dem Tod des Mitglieds des Zentralkomitees der Partei in den Jahren 1975-1980 Zdzislaw Grudzien durch einen Herzinfarkt am 30.01.1982 brachte man sie im Februar 1982 in das Internierungszentrum in Promnik in der Nähe von Warszawa (wo wesentlich bessere Bedingungen herrschten). Die zweite (nur zwei Personen zählende) Gruppe bestand aus Lech Wałęsa und Jan Kułaj, die als Führer der Gewerkschaften zu den „Führungskräften” gehörten und planmäßig gesondert interniert wurden. Wałęsa war zuerst in Otwock, dann in Chylice und Arłamów, Kułaj in Chylice (in den ersten Tagen des Kriegsrechts war er gemeinsam mit anderen Oppositionellen in Ostróda und Iława). Beide standen unter „dem Schutz“ der Selbständigen Schutzgruppe des Büros zum Schutz der Regierung des Innenministeriums.

Die dritte Gruppe bestand aus den übrigen Inhaftierten. Die Festgenommenen wurden unter sehr unterschiedlichen Bedingungen gehalten – angefangen mit Gefängnissen bis zu (entsprechend vorbereiteten) Erholungszentren.

Funktionäre des Sicherheitsdienstes führten sog. „Operationsgespräche” mit den Internierten. Diese dienten dem Zweck, Informationen über die Strukturen der Opposition (insbesondere der Unabhängigen Gewerkschaft „Solidarność”) vor 13.Dezember zu gewinnen. Ein weiterer Zweck bestand darin, das Unterschreiben einer Loyalitätserklärung (die u. a. eine Verpflichtung zum „Aufhören mit feindlichen und für die Volksrepublik Polen schädlichen Aktionen“ sowie „Das Respektieren der herrschenden Gesetze“ enthielt) zu erzwingen. Diese „Loyalitätserklärungen“ waren am Anfang des Kriegsrechts die Voraussetzung für die Freilassung. Diejenigen, die anfangs nicht zur Internierung sondern nur zur Durchführung von Warngesprächen vorgesehen waren und die die Loyalitätserklärung nicht unterschrieben haben, wurden interniert.

Der letzte Zweck dieser Gespräche bestand in Anwerbung neuer Agenten unter den Internierten. Als „besonders erfolgreich“ erwiesen sich die ersten Tage nach dem 13. Dezember, wozu die Atmosphäre, die unter den der Freiheit beraubten und ihrer Zukunft unsicheren Menschen herrschte. beitrug.

In den Internierungszentren befanden sich auch geheime Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes, die dadurch einerseits Vertrauen erwecken sollten, andererseits als Internierte Informationen über die festgehaltenen Personen, ihre Ansichten oder Pläne gewinnen konnten.  Ein bekannter Vertreter dieser Gruppe war Eligiusz Naszkowski, der Vorsitzende der Solidarność in Region Piła. Und einer der zwei verdeckten Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes, die heimlich die am 03.12.1981 stattfindende Sitzung des Landeskomitees der Solidarność aufgenommen haben, die später nach entsprechender „Überarbeitung” genutzt wurde, um die angebliche Notwendigkeit der Einführung des Kriegsrechts zu beweisen.

Ein anderes Thema sind die (übrigens fast immer vergeblichen) Versuche, der „Reedukation” der Internierten.

  Am Rande bemerkt, haben die Internierungen (neben Festnahmen) die Liste der Methoden, die durch die Machthaber der Volksrepublik Polen gegenüber der Oppositionellen nach dem 13.12.1981 angewandt wurden, nicht ausgeschöpft. Zu den zusätzlichen, immer noch wenig untersuchten, Mitteln gehören „die militärischen Fortbildungen“, die im Herbst 1982 für die „Extremisten der Solidarność“ durchgeführt wurden, es ist allerdings ein anderes Thema…   

Grzegorz Majchrzak